Bildungspolitik: Grundlagen

Bildungspolitik: Grundlagen
Bildungspolitik: Grundlagen
 
Die auf den Ausbau und die Umgestaltung des Bildungswesens gerichteten politischen Aktivitäten sind gemessen an den Ausgaben eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. 1996 betrugen die öffentlichen Ausgaben für diesen Politikbereich in Deutschland 170,2 Mrd. DM; das entsprach 4,8 % des Bruttosozialprodukts. Hinzuzurechnen sind noch die Ausgaben privater Haushalte und Unternehmen für Aus- und Weiterbildung (1996 rund 63 Mrd. DM) und die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit für die berufliche Weiterbildung (1996 5,4 Mrd. DM). Die Ziele staatlicher Bildungspolitik sind vielfältig und unterliegen im Laufe der Geschichte Veränderungen: Der preußische Staat wollte für seine Beamten und Soldaten ein Mindestmaß an Bildung im Schreiben, Lesen und Rechnen sicherstellen. Heute soll Bildung die wirtschaftliche Entwicklung fördern und die Bevölkerung stärker in die bestehende Gesellschaft integrieren. Die herausragende Rolle des Staates im Bildungsbereich wird ökonomisch mit Marktversagen begründet. Bildung sei, so die Argumentation, ein öffentliches Gut, weil ihre Kosten und Erträge nicht individuell zu ermitteln seien. Daher sollten alle Individuen zur Finanzierung herangezogen werden. Dies ist inkorrekt, soweit einzelne Individuen von dem Konsum des Gutes Bildung (z. B. dem Besuch einer Vorlesung) ausgeschlossen werden können. Generell werden aber auch externe Effekte der Bildung vermutet. Das bedeutet, dass die privaten Erträge z. B. einer Hochschulausbildung niedriger als die privat dafür aufzuwendenden Kosten ausfallen würden. Wenn das erworbene Wissen auch anderen nützt und von diesen nicht entsprechend entlohnt wird (z. B. durch das Gehalt), spricht dies für eine teilweise öffentliche Finanzierung.
 
 Das deutsche Bildungssystem
 
In Deutschland greift der Staat auf vier Ebenen ins Bildungsgeschehen ein: 1. Bildung ist mittels Schulpflicht für alle verbindlich, 2. die Kosten des Bildungsangebots trägt weitgehend der Steuerzahler, 3. das Angebot wird zu einem großen Anteil von staatlichen Bediensteten erstellt und 4. die Inhalte des Angebots sind staatlich fixiert. Zusammengenommen ist dies die weitgehendste Möglichkeit des staatlichen Eingriffs in die Bildungspolitik. Für Deutschland ergibt sich eine besondere Problematik aus dem Kulturföderalismus der Länder; verfassungsrechtlich ist Bildungspolitik prinzipiell Ländersache. Da dadurch jedoch die Zersplitterung des Bildungswesens droht, die z. B. die Flexibilität bei beruflicher Ausbildung und Studium beeinträchtigen kann, setzten schon früh Bemühungen um eine Koordinierung der Bildungspolitik ein. So unterstützt der Bund seit 1969 die Länder beim Hochschul- und Wohnheimbau sowie bei der Ausbildungs- und Graduiertenförderung. Die Länder beteiligen umgekehrt den Bund an der Bildungsplanung und Forschungsförderung (organisiert in der 1970 geschaffenen Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung). Institutionell stellt die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (seit 1949) das wichtigste Gremium zur Koordinierung der Bildungspolitik der Länder dar.
 
 Die ordnungspolitische Perspektive
 
Der Bildungssektor in Deutschland ist weit von einer marktwirtschaftlichen Organisation entfernt. Die starke Intervention des Staates kann nur aus historischer Sicht verstanden werden. Aus ökonomischer Sicht ist der Bildungsbereich lediglich in Teilen nicht marktfähig. Der Charakter des öffentlichen Gutes, welcher der Bildung zugeschrieben wird, gilt nur bedingt. Im Schulbereich fordert der Staat für den Einzelnen einen gewissen Mindestkonsum an Bildung. Das bedeutet aber, dass der Gesetzgeber seinen Bürgern nicht zutraut, die für sie selbst optimalen Bildungsentscheidungen zu treffen. Bildung wird offensichtlich vom Gesetzgeber als meritorisches Gut angesehen. Der Staat setzt sich dabei über die Präferenzen der Bürger hinweg. Begründen lässt sich dies z. B. durch die Integrationswirkungen, die eine gemeinsame Schulerziehung auf die Gesellschaft haben kann. Unklar bleibt allerdings, warum der Staat selbst die Bildung übernimmt. Prinzipiell könnte er sie auch durch freie Bildungsunternehmen erbringen lassen, denen er Rahmenbedingungen setzt. Noch weniger einleuchtend ist die starke Regulierung im Hochschulbereich. Zu unterscheiden ist hier zwischen Lehre und Forschung. Während Forschung zum Teil noch als öffentliches Gut gelten kann, ist dies für die Lehre zu bezweifeln. Denn prinzipiell kann jeder von Lehrveranstaltungen ausgeschlossen werden. Auch die positiven externen Effekte sind nicht klar, denn allgemein beziehen Akademiker wesentlich höhere Gehälter als Facharbeiter. Aus ordnungspolitischer Sicht sollten daher die Studenten zumindest zum Teil mittels Studiengebühren die Kosten des Bildungsangebots tragen. Mit der Gebührenpflicht gekoppelt wäre das Recht auf freie Wahl des Ausbildungsplatzes. Wettbewerb unter den Hochschulen sollte dafür sorgen, dass schlechte Qualität der Lehre »bestraft«, gute dagegen »belohnt« wird. Grundsatz einer umfassenden Bildungsreform muss jedoch sein, dass ein Studienwunsch nicht an einem zu geringen elterlichen Einkommen scheitern darf.

Universal-Lexikon. 2012.

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